Mahn- und Gedenktreffen 2024

Ein Ort des Erinnerns an menschliches Leid

34. Mahn- und Gedenktreffen der Initiativgruppe Lager Mühlberg

Traditionell am ersten Septemberwochenende hatte die Initiativgruppe Lager Mühlberg zu ihrem inzwischen 34. Mahn- und Gedenktreffen geladen. In Gedenkstunden am Mahnmal auf dem Soldatenfriedhof in Neuburxdorf und unterm Hochkreuz auf dem Gelände des ehemaligen Lagers gedachten Mitglieder der Initiativgruppe gemeinsam mit Vertretern der Verbandsgemeinde Liebenwerda, der Städte Bad Liebenwerda und Mühlberg sowie weiteren Gästen des Schicksals der Inhaftierten im sowjetischen Speziallager Nr. 1 und der Gefangenen des Kriegsgefangenenlagers Stalag IV B. Es gilt als beachtenswerte Besonderheit, dass das Mühlberger Gedenken, das von ehemaligen Insassen des Speziallagers und ihren Angehörigen nach der politischen Wende in der DDR ins Leben gerufen wurde, ausdrücklich beide Lager einschließt.

Speziell das Gedenken an das Unrecht im Speziallager ist indes nicht ohne Ambivalenz. Dies machte Johannes Beleites deutlich, der in diesem Jahr am Hochkreuz die Gedenkrede hielt. Der Beauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur des Landes Sachsen-Anhalt arbeitete sehr feinfühlig und ausgewogen heraus, dass die Biografien vieler Inhaftierter keine Einteilung in ein simples Schwarz-Weiß-Schema erlauben.  Zweck der nach dem Krieg von allen Siegermächten errichten Internierungslager sei es gewesen, Einflussnahme oder Sabotage durch Akteure des NS-Regimes und Staatsbedienstete zu verhindern. „Vor diesem Hintergrund war für die Besatzungsmacht die Frage individueller Schuld der Internierten eher zweitranging“, so Johannes Beleites.

Indes sei die Art, wie diese Lager betrieben wurden und mit welchem Ziel, der entscheidende Grund, warum heute an das Unrecht der sowjetischen Speziallager erinnert werde.  Während die Internierungen in den westlichen Besatzungszonen den demokratischer Aufbau flankierten und der Kontrolle von Institutionen unterlagen, waren die sowjetischen Speziallager Einrichtungen einer Diktatur und wurden dementsprechend mit den Mitteln einer Diktatur betrieben. Dazu zählte, dass die Versorgung der Insassen eklatant vernachlässigt wurde, was tausendfachen Tod durch Krankheit und Hunger nach sich zog. Neben diesen gravierenden Menschenrechtsverletzungen gab es weitere, wie die Isolation der Gefangenen von ihren Familien, die ihrerseits nichts vom Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren – nicht einmal bei deren Tod. Man erinnere  an das Speziallager Mühlberg wie auch alle anderen sowjetischen Speziallager als einen Ort menschlichen Leids, so Beleites. Dieses Erinnern sei „unabhängig von der Frage von Schuld und Unschuld und Mitverantwortung der Speziallager-Insassen“. Pauschale Zuweisungen in die eine oder andere Richtung verböten sich.

Beachtet werden müsse jedoch auch der historische Kontext der Entstehung des Speziallagers, der seinen Ausgang in dem von Deutschland begonnenen Eroberungs- und Vernichtungskrieg hat, mit dem auch das Lager Mühlberg über seine  „doppelte Vergangenheit“ eng verbunden ist.

Relevant sei das Speziallager-Thema noch immer. Man erlebe heute in der Ukraine, mitten in Europa, einen Krieg, dessen Einordnung auch hierzulande zu Spannungen führe. Beleites sieht darin auch einen Wertekonflikt. Einen Konflikt zwischen dem autoritär-diktatorische System Wladimir Putins in einem Russland, das sich nicht nur zunehmend auf Stalin beruft, sondern in dem auch stalinistische Methoden Anwendung finden, und einer Ukraine, die sich aus diesem System lösen will und den Aufbau eines liberalen demokratischen Staates anstrebt.

Bezeichnenderweise ist ein großer Teil des Wissens über die sowjetischen Speziallager der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial zu verdanken, die in Russland mittlerweile immer stärkeren staatlichen Repressionen mit Betätigungsverboten und Inhaftierungen ihrer Mitarbeiter ausgesetzt sei, wie der sachsen-anhaltische Landesbeauftragte betonte. 

Zu danken sei indes auch allen, die sich vor Ort am Lager Mühlberg schon seit der Wende dafür einsetzen, „dass das Erinnern und Gedenken an die Toten des NKWD-Speziallagers Nr. 1, aber eben auch an die Toten des deutschen Kriegsgefangenenlagers am selben Ort in würdigem Rahmen möglich ist“, so Beleites abschließend.

Dass das Gedenken am Lager Mühlberg und die Erinnerung auch in die Zukunft getragen werden, ist schon seit längerem Anliegen der Initiativgruppe. Als „unsere Hoffnung“ bezeichnete deren Vorsitzender, Pfarrer Matthias Taatz, daher die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Mühlberg, die ebenfalls an der Gedenkveranstaltung teilnahmen und zu deren Abschluss gemeinsam mit den älteren Teilnehmern des Treffens Hand in Hand einen Kreis um das Hochkreuz bildeten.

Text und Foto: Karsten Bär